Ein Jahr Ampel-Crash – Was machen eigentlich Scholz und Co.?

Vom Kanzler zum Abgeordneten, von der Ministerin zur UN-Präsidentin: Was aus den wichtigsten Köpfen der Ampel-Regierung geworden ist – und warum einer von ihnen seinen Job behalten hat.

© Archivbild: Michael Kappeler/dpa

Vor einem Jahr beherrschten sie die Schlagzeilen – inzwischen geraten manche von ihnen schon in Vergessenheit: Als am 6. November 2024 die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP platzte, waren alle Augen auf Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) gerichtet. Und heute?

Viele Ministerinnen und Minister aus dem Kabinett Scholz haben der Politik adieu gesagt. Fast zwangsläufig vollzogen die einstigen FDP-Spitzenleute diesen Schritt. Erst wurden sie nach dem Ampel-Crash aus der Regierung entlassen. Dann fegten die Wählerinnen und Wähler die FDP bei der Bundestagswahl aus dem Parlament.

Scholz selbst blieb zwar Abgeordneter, findet nun aber auch Zeit für Dinge, die früher nicht drin waren. So sieht man ihn jetzt auch schon mal beim Kraulen von Wasserbüffeln.

Olaf Scholz: Vom Kanzler zum einfachen Abgeordneten

Keine vier Jahre – nur die Kanzler Ludwig Erhard (1963 bis 1966) und Kurt Georg Kiesinger (1966 bis 1969) waren kürzer im Amt als Olaf Scholz. Unter seinem CDU-Nachfolger Friedrich Merz im Kabinett zu dienen, kam für den Sozialdemokraten nicht infrage. Der Verzicht auf sein Bundestagsmandat aber auch nicht.

Obwohl er mit 67 Jahren das Rentenalter erreicht hat, wechselte Scholz vom Kanzleramt auf die Hinterbank des Bundestags. Dort will der in seinem Wahlkreis Potsdam direkt gewählte Abgeordnete auch die ganze Legislaturperiode bleiben. Für ihn gilt: «Das höchste Amt, in das man in Deutschland direkt gewählt werden kann, ist das des Abgeordneten im Deutschen Bundestag.»

Allerdings nimmt Scholz sein Mandat auf Sparflamme wahr. Um das Rednerpult im Plenarsaal macht er einen Bogen, einem Ausschuss gehört er nach dem Abgeordnetenverzeichnis des Bundestags nicht an.

Robert Habeck: Abschied mit einem Knall

Der einstige Grünen-Vorsitzende, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler ließ sich mit seinem Rückzug aus der Politik etwas Zeit. Seinen Platz im Bundestag nahm er zunächst ein. Erst zum 1. September legte er sein Mandat nieder.

Der «taz» verriet er seine Zukunftspläne: «Ich werde an verschiedenen ausländischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen forschen, lehren und lernen», sagte der 56-Jährige. Er nannte das Dänische Institut für Internationale Studien in Kopenhagen und die Universität Berkeley in Kalifornien. Er müsse «Abstand zu dem zu engen Korsett des Berliner Politikbetriebs gewinnen».

Zum Abschied teilte Habeck in der «taz» nochmals aus, nannte etwa Bundestagspräsidentin Julia Klöckner eine «Fehlbesetzung» und bescheinigte ihr: «Sie hat immer nur polarisiert, polemisiert und gespalten.» Kanzler Merz nannte Habecks Abgang daher «peinlich».

Christian Lindner: Vaterfreuden und Wechsel in die Wirtschaft

Der einstige FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Lindner hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er auch in der nächsten Bundesregierung gern wieder der oberste Kassenwart der Nation geworden wäre. Nach dem FDP-Wahldebakel vom 23. Februar verschwand der 46-Jährige dann blitzartig von der politischen Bühne.

Priorität hatte nun zunächst das Privatleben. Im April bekam seine Frau Franca Lehfeldt ein Baby. «Momentan steht bei mir natürlich die Familie ganz im Vordergrund, jeden Tag und auch jede Nacht», gab Lindner Anfang Mai in einem Videoclip bekannt.

Doch nun, da die in der Regel zwölf Monate lange Karenzzeit für den Wechsel aus einem Ministeramt in die Wirtschaft abläuft, zieht es ihn mit Macht genau dorthin. Lindner wird unabhängiges Mitglied im Shareholder-Board des digitalen Personaldienstleisters Stepstone Group, einer gemeinsamen Beteiligung des Private-Equity-Fonds KKR und der Axel Springer SE. Und die globale CEO-Beratung Teneo berief Lindner zum Senior Advisor. Teneo teilte mit, dass er Unternehmen in den USA, in Europa und in Deutschland in strategischen Fragen beraten soll.

Volker Wissing: Vorsitz in einem neuen Beirat

Auch Volker Wissing ließ die Bundesregierung wissen, dass er künftig sein Glück und Auskommen in der Wirtschaft finden will. Nach dem Ministergesetz muss dies innerhalb der ersten 18 Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt schriftlich angezeigt werden.

Der frühere Bundesverkehrsminister heuerte bei der Christ Capital GmbH an und übernimmt den Vorsitz eines neuen Beirates. Dieser soll nach einer Mitteilung des Unternehmens ein beratendes Gremium für die gesamte Unternehmensgruppe werden. Zu ihr gehört unter anderem die Beratungsfirma Joschka Fischer & Company des früheren Außenministers und Grünen-Politikers Joschka Fischer.

Wissing trat nach dem Bruch der Ampel-Koalition aus der FDP aus und verblieb als einziger Liberaler im Kabinett von Bundeskanzler Scholz. Er ist nun parteilos.

Annalena Baerbock: Abgang nach New York

Die frühere Außenministerin und – an Habecks Seite – Grünen-Chefin verabschiedete sich nach New York zu den Vereinten Nationen. Dort wurde sie mit überwältigender Mehrheit zur Präsidentin der UN-Generalversammlung gewählt. Der Spitzenposition wird in erster Linie protokollarische Bedeutung beigemessen. Baerbock leitet die Sitzungen der Generalversammlung und legt Abläufe und Tagesordnungen fest.

Baerbock ist erst die fünfte Frau auf diesem Posten. Die Amtszeit beträgt ein Jahr. Der neue Job in New York wird als möglicher Beginn einer internationalen Karriere für die 44-Jährige gesehen, die einen Masterabschluss im Völkerrecht hat. Ursprünglich war für das Amt die deutsche Top-Diplomatin Helga Schmid vorgesehen. Baerbock wurde für ihre späte Kandidatur nach der verlorenen Bundestagswahl kritisiert.

Boris Pistorius: Verteidigungsminister in alter und neuer Regierung

Der einzige Bundesminister, der das Kunststück fertigbrachte, von der alten in die neue Regierung zu wechseln, war Boris Pistorius. Der SPD-Mann war Verteidigungsminister unter Scholz – und wurde es erneut unter Friedrich Merz.

Der heute 65-Jährige hatte in der vergangenen Wahlperiode die glücklose Christine Lambrecht abgelöst. Schnell avancierte er in Umfragen zum beliebtesten Politiker Deutschlands. Auch in der Truppe ist der Klartext sprechende Pistorius beliebt.

Wie schon in der Ampel-Koalition kämpft Pistorius darum, dass Deutschland wieder verteidigungsfähig wird. Dazu will er erreichen, dass künftig wieder alle jungen Männer eines Jahrgangs gemustert werden. Um die Stärke der Truppe zu erhöhen, setzt der SPD-Mann zuallererst auf das Prinzip Freiwilligkeit. Den Vorschlag der Union, nur einen Teil eines Jahrgangs zu mustern und diesen per Los zu bestimmen, lehnt er ab, zeigt sich aber kompromissbereit.

Karl Lauterbach und andere: Sacharbeit im Bundestag

Viele ehemalige Kabinettsmitglieder sind der Politik treu geblieben und sitzen – wie Scholz – weiter im Bundestag. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist dort nun Vorsitzender des Forschungsausschusses, die ehemalige Familienministerin Lisa Paus (Grüne) amtierende Vorsitzende des Haushaltsausschusses.

Nancy Faeser (SPD), einst Innenministerin, ging in den Auswärtigen Ausschuss, die frühere Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in das Vertrauensgremium und den Haushaltsausschuss. Ex-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat ein neues Betätigungsfeld im Auswärtigen Ausschuss gefunden. Die frühere Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wechselte dagegen ihr Fachgebiet nicht und sitzt nun im Umweltausschuss.

Cem Özdemir: Staatskanzlei in Stuttgart im Visier

Wieder regieren, aber auf einer anderen Ebene – das strebt der frühere Bundeslandwirtschaftsminister und Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir an. Der 59-Jährige möchte von der Bundes- auf die Landesbühne in Baden-Württemberg wechseln und im kommenden Jahr den nicht wieder antretenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) beerben. Ein Parteitag wählte ihn im Mai zum Spitzenkandidaten.

Ob Özdemir bei der Landtagswahl im März Erfolg haben wird, steht allerdings in den Sternen. In den Umfragen liegen die Grünen deutlich hinter der CDU. (dpa)