Ex-CSSR-Minister steht in Prag wegen Grenztoten vor Gericht

Wegen der Tötung von Menschen am früheren Eisernen Vorhang steht in Tschechien erstmals ein hochrangiges Ex-Regierungsmitglied vor Gericht. Der Prozess gegen Vratislav Vajnar, der von 1983 bis 1988 das Innenministerium der damaligen Tschechoslowakei (CSSR) leitete, begann am Dienstag in Prag. Er selbst war nicht anwesend. Seine Verteidigerin forderte eine Einstellung des Verfahrens, weil sich der Gesundheitszustand ihres Mandanten weiter verschlechtert habe.

Dem heute 92-Jährigen wird Amtsmissbrauch vorgeworfen, weil er das harte Grenzregime einschließlich des Schusswaffengebrauchs aus politischen Gründen gebilligt habe. Dabei hatte sich die Tschechoslowakei 1975 in der KSZE-Schlussakte von Helsinki zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichtet.

In dem Prozess geht es unter anderem um eine mutmaßliche Mitschuld am Tod von Hartmut Tautz und Johann Dick. Der in Amberg in der Oberpfalz lebende Bundesbürger Dick war im September 1986 auf einer Wanderung von CSSR-Grenzsoldaten erschossen worden. Nach Überzeugung der deutschen Seite befand er sich noch auf BRD-Gebiet. Der erst 18-jährige Magdeburger Tautz wurde 1986 in der Nähe von Bratislava von Hunden bei dem Versuch zerfleischt, über die Grenze nach Österreich zu gelangen.

Die Ermittlungen gehen auf eine Strafanzeige der Initiative „Plattform für das Gedenken und Gewissen Europas“ zurück. Die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag, Renata Alt, würdigte den Prozessbeginn als ein „wichtiges Zeichen“. „Dies signalisiert: Die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen verjährt niemals“, betonte die FDP-Politikerin.

Der Eiserne Vorhang wurde im Kalten Krieg von den Ostblockstaaten scharf bewacht. Bei Fluchtversuchen kamen nach Untersuchungen von Historikern zwischen 1948 und 1989 an den Grenzen der Tschechoslowakei zur Bundesrepublik Deutschland und zu Österreich nachweislich mindestens 280 Menschen ums Leben, etwa durch Stromschlag oder Schüsse von Grenzsoldaten. (dpa)