Zwischen „Weiter so“ und vielen offenen Fragen – die Bayern-Wahl 2023

Schenkt man den Bekundungen von CSU und Freien Wählern Glauben, wird sich in Bayern nach der Wahl im Oktober nichts Grundlegendes ändern. Ausgemachte Sache ist das aber noch lange nicht.

Auf der Zielgeraden der Legislaturperiode ist die Lage für Ministerpräsident Markus Söder und seine CSU so gut wie lange nicht. Je näher die Bayern-Wahl am 8. Oktober rückt, desto größer wird der Abstand zur ohnehin weit abgeschlagenen Konkurrenz der Ampelparteien Grüne, SPD und FDP. Auch die Freien Wähler, Söders Lieblingskoalitionspartner, sind seit der Wahl 2018 nicht stärker geworden, und die AfD hinkt im Freistaat dem Bundeshoch hinterher.

Sollte das Wahlergebnis am Ende den Umfragen entsprechen, stehen die Weichen im Freistaat auf „Weiter so“. Wer aber genauer hinschaut und weiter denkt, merkt schnell: Ganz so simpel ist die Lage nicht.

CSU:

Nach der desaströsen Bundestagswahl 2021 infolge von Söders offenem Machtkampf gegen den damaligen CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet steckte die CSU in der Krise. Inzwischen hat sich die Partei wieder konsolidiert und ist geschlossen. Söders Machtposition ist gefestigt wie lange nicht, offene Kritiker gibt es keine, auch unter der Hand sind kritische Stimmen kaum zu hören. Dafür sorgt auch Söders Geschlossenheits-Mantra, wonach die CSU nicht auf externe Hilfe hoffen dürfe und die Konkurrenz nur auf Fehler warte. Sollte die Rechnung aufgehen, könnten bei einem guten Wahlergebnis auch mal wieder Debatten zu Söders bundespolitischen Ambitionen laut werden.

Nach der wenig schmeichelhaften Landtagswahl 2018 hatte Söder seiner Partei zunächst einen Modernisierungskurs nach dem Motto „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ verordnet. Dafür umarmte er Bäume und versuchte, den Grünen die Themen wegzunehmen. Dies führte – genau wie Söders anfangs extrem strikter Corona-Kurs – zu großer Unruhe in der CSU und unter den konservativen Stammwählern.

Inzwischen hat Söder daher abermals den Kurs der CSU geändert und der Partei – so sehen es auch CSU-Vorstände – wieder ein deutlich konservativeres Profil verpasst, dass manche an die Zeiten von Edmund Stoiber erinnert: Atomkraft ist salonfähig, streng geschützte Tiere wie Wolf und Otter werden sozusagen zum Abschuss freigegeben, wo immer es geht, werden Heimat und Tradition gefeiert, und auch in Sachen Migration verschärft sich wieder die Tonlage.

Hinzu kommt, dass Söder – zumindest bis auf Weiteres – in Bayern eine Koalition mit den Grünen von vornherein kategorisch ausschließt. Zur Erinnerung: 2018 trafen sich CSU und Grüne nach der Wahl gar zu Sondierungsgesprächen. Die CSU muss sich aber nicht nur gegen die Grünen behaupten – auch Wählerwanderungen zu ihrem Nachteil Richtung Freie Wähler und AfD muss sie verhindern. In Summe vereinen die drei Parteien mehr als 60 Prozent der Stimmanteile auf sich.

GRÜNE:

So sehr sich die aktuell größte Oppositionspartei Bayerns in der Landespolitik abstrampelt, auch im Freistaat sind die Grünen in einem Abwärtsstrudel gefangen, der seinen Ursprung in der alles andere als glücklichen Regierungsbeteiligung im Bund hat. Dem Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann gelingt es – wie der außerhalb der Partei kaum bekannten Landesspitze – nicht, sich vom Bundestrend abzusetzen. Verglichen zu ihren besten Umfrageergebnissen (25 Prozent 2020, 24 Prozent 2021) haben sie gut zehn Prozentpunkte verloren. Auch die fehlende Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung dürfte dazu beitragen, dass sich derzeit weniger Wähler vorstellen können, ihr Kreuz bei den Grünen zu machen.

In der Partei hoffen daher längst viele auf die Wahl 2028 – dann könnte die jetzt 38-jährige und damit noch nicht als Regierungschefin wählbare Schulze qua Alter auf das Amt als Ministerpräsidentin schielen und so möglicherweise eine Wechselstimmung im Land befeuern, die die CSU dann mit ihrer Stammwählerpolitik nicht im Keim ersticken kann. Letzteres fürchten längst auch schon so manche in der CSU.

FREIE WÄHLER:

Entgegen aller Häme vor der Wahl 2018 haben die Freien Wähler sich in der Koalition mit der CSU nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil: Nicht nur in der Corona-Krise konnte die Partei von Hubert Aiwanger auch eigene Akzente setzen. Anders als 2018 gehen die Freien Wähler in die Wahl in diesem Herbst mit einer Koalitionszusage der CSU – vor fünf Jahren hatte diese sich noch lustig über Aiwangers Machtambitionen gemacht. Damit will die CSU verhindern, dass die Freien Wähler einen Wahlkampf gegen die CSU machen.

Spannend bleiben aber dennoch zwei Fragen: Sollte die CSU tatsächlich genug Stimmen für eine Alleinregierung zusammenkriegen, auch das ist denkbar, käm es zum Bruderschwur. Im Falle einer Fortsetzung der Koalition würde die Verteilung der Ministerien Spannung garantieren. Schon auf ihrem Parteitag hatte es Stimmen gegeben, die mehr Posten im Kabinett forderten, sollte das Ergebnis besser sein als 2018. Ob dies aber auch nach dem jüngsten Fauxpas von Aiwanger passiert, bleibt abzuwarten. Der Niederbayer hatte sich bei einer Demo mit Aussagen im Stile der AfD auch intern viel Kritik eingehandelt.

AfD:

Es ist paradox: Obwohl die AfD in der zu Ende gehenden Wahlperiode im Landtag wie im Landesverband mit internen Streitereien auf sich aufmerksam machte, steht sie derzeit besser da als 2018. Thematisch und programmatisch ist die AfD im Stile der Bundespartei unterwegs. Am liebsten skandalisiert sie die Regierungspolitik und warnt vor dem Untergang Bayerns – sei es infolge von Klima- und Naturschutz, Zuwanderung oder steigenden Kosten für Unternehmen wie Bürger.

Mit der Wahl ihrer Landtagsabgeordneten Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm zum Spitzenkandidaten-Duo vollzieht die Bayern-AfD weiter ihren Kurs nach ganz rechts. Beide werden dem offiziell aufgelösten „Flügel“ zugerechnet. Vor allem Ebner-Steiner gilt als Vertraute von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen.

SPD:

So mancher Genosse in Bayern hatte sich wohl mehr erhofft vom Kanzlereffekt. Aber wie im Bund ist auch die Bayern-SPD in Umfragen weit weg von Höhenflügen. Landeschef Florian von Brunn gibt sich weiter kämpferisch und glaubt nach eigenem Bekunden an 15 Prozent plus X. Fakt ist aber, dass die SPD auch von der aktuellen Schwäche der Grünen nicht wirklich profitieren kann und weiter fürchten muss, am Ende zu den kleinsten Fraktionen im Landtag zu gehören.

FDP:

Darüber würde sich die FDP nach aktuellem Stand schon freuen, immerhin muss sie – wie schon so oft – um den Wiedereinzug ins Maximilianeum bangen. Gerade CSU und Freie Wähler werben in der unzufriedenen Klientel der bayerischen FDP um Wechselwähler. In Summe sind die bayerischen Ampelparteien zudem nicht ansatzweise in der Lage, eine Koalition gegen die CSU zu bilden.

So wird gewählt: Das Landtagswahlrecht und seine Besonderheiten

Auf den ersten Blick ist es genau wie bei der Bundestagswahl: Auch bei der Landtagswahl in Bayern hat jede und jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen, Erststimme und Zweitstimme. Es gibt aber einen ganz zentralen Unterschied – und der ist für die künftige Zusammensetzung des Landtags von enormer Bedeutung: Zur Ermittlung der Sitzverteilung im Landesparlament werden alle Erst- und Zweitstimmen zusammengezählt und in Mandate umgerechnet.

Die Anzahl der Gesamtstimmen entscheidet also darüber, welche Partei künftig wie viele Abgeordnete im Landtag hat. Das heißt: Die Erststimme ist für die Sitzverteilung genau gleich wichtig wie die Zweitstimme. Das ist der große Unterschied zur Bundestagswahl, wo allein die Zweitstimme für die Sitzverteilung ausschlaggebend ist.

Mit der Erststimme wählt man eine Kandidatin oder einen Kandidaten in einem der insgesamt 91 Stimmkreise direkt. Sieger/in ist, wer dort jeweils die meisten Stimmen bekommt, die einfache Mehrheit reicht. Voraussetzung für einen Einzug der Stimmkreis-Gewinner und -Gewinnerinnen in den Landtag ist aber, dass deren Partei landesweit mindestens fünf Prozent aller gültigen Gesamtstimmen erhält.

Die Zweitstimme ist eine Listenstimme – wobei die Parteien nicht landesweit mit einer Bayern-Liste antreten, sondern mit bis zu sieben selbstständigen Listen in den sieben bayerischen Regierungsbezirken (Wahlkreisen). Doch auch die Zweitstimme ist personenbezogen: Man kann damit einen Wahlkreis-Kandidaten einer Partei auswählen und ankreuzen, egal auf welchem Listenplatz dieser steht. Kreuzt man keinen einzelnen Kandidaten an, sondern allgemein eine Partei oder Wählergruppe, wird die Stimme nicht ungültig, sondern wird am Ende der betreffenden Partei bei der Sitzverteilung zugerechnet.

Insgesamt werden bei der Landtagswahl 91 Direkt- und 89 Listenmandate vergeben. Der Landtag kann aber am Ende auch mehr als 180 Mitglieder haben – durch sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate: Wenn einer Partei mehr Direktmandate zufallen, als ihr nach dem Stimmenverhältnis eigentlich zustehen würden (Überhangmandate), so erhöht sich auch die Zahl der Mandate der anderen Parteien entsprechend dem tatsächlichen Stimmenverhältnis (Ausgleichsmandate).

In der zu Ende gehenden Legislaturperiode hatte der Landtag aufgrund von 10 Überhang- und 15 Ausgleichsmandaten insgesamt 205 Mitglieder.

Von Söder bis Hagen: Die Landtags-Spitzenkandidaten im Überblick

Sech Parteien sitzen aktuell im bayerischen Landtag. Nach der Wahl am 8. Oktober könnte sich das ändern. Für die Monate bis dahin stehen acht Spitzenkandidaten und -kandidatinnen ganz besonders im Fokus.

Die Mehrzahl der Parteien in Bayern geht heuer mit altbekannten, aber höchst unterschiedlichen Spitzenkandidaten in die Landtagswahl. Ein Überblick über die Bewerber der Parteien, die den jüngsten Umfragen zufolge fest mit einem Einzug ins Maximilianeum rechnen oder zumindest halbwegs realistisch darauf hoffen können.

CSU: MARKUS SÖDER (56): Im März 2018 hatte der Nürnberger sein großes Lebensziel erreicht: als er im Landtag erstmals zum bayerischen Ministerpräsidenten und Nachfolger seines ewigen Rivalen Horst Seehofer gewählt wurde. Bei seiner ersten „eigenen“ Landtagswahl ein halbes Jahr später kam die CSU freilich nicht über 37,4 Prozent hinaus, Söder musste eine Koalition mit den Freien Wählern eingehen. Seither durchlebte der einstige politische Ziehsohn von Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber, der schon CSU-Generalsekretär, Europa-, Umwelt- und Finanzminister war, wechselvolle Jahre: Er musste das Land unter anderem durch die Corona-Krise führen, genoss dafür anfangs auch bundesweit hohen Zuspruch, wäre fast Unions-Kanzlerkandidat geworden. Heute muss er kämpfen, in Bayern die 40-Prozent-Marke zu schaffen. Dafür reist der studierte Jurist, der Fan von Science-Fiction und ausgefallener Faschingsverkleidung ist, nimmermüde durchs Land, will den kümmernden Landesvater geben. Seinen Job als Regierungschef hat er sicher – aber wie stark werden Söder und die CSU künftig sein?

GRÜNE: KATHARINA SCHULZE (38) UND LUDWIG HARTMANN (44): Auch bei den Grünen gibt es keine Veränderung: Die Partei geht mit ihrem schon bekannten Spitzenduo ins Rennen. Schulze ist wohl der auffälligere Part der Doppelspitze: In Reden und Debatten ist sie derart kämpferisch und engagiert, dass politische Kontrahenten oft die Augen verdrehen. Das aber ist Schulze, die 2013 erstmals in den Landtag eingezogen war und seit 2017 Fraktionschefin ist, völlig gleich. Sie gilt als fleißige Arbeiterin, die sich leidenschaftlich für ihre Überzeugungen einsetzt. Kritiker werfen ihr bisweilen aber eine zu karrierebewusste Lebensplanung vor. Schulzes Kollege Ludwig Hartmann sitzt seit 2008 im Landtag, gilt dort als versierter Energie- und Klimaexperte. Hartmann gilt ebenfalls als ein Mann markiger Worte, der wenn nötig auch vor Streit nicht zurückschreckt. Die lauten Attacken auf Söder & Co. überlässt er aber oftmals lieber Schulze.

FREIE WÄHLER: HUBERT AIWANGER (52): Ohne Hubert Aiwanger geht bei den Freien Wählern (FW) nichts. Der Agraringenieur ist in Personalunion FW-Landesvorsitzender, Bundesvorsitzender – und seit 2018 bayerischer Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident. Nebenbei mischt er sich auch gerne in allen agrarpolitischen Fragen ein, beim Kampf gegen den Wolf sowieso. Im Kabinett gibt der Niederbayer mit seinem unbeschreiblichen Dialekt das eingespielte Duo mit Söder – und umgekehrt. Im Landtag hält er auch lange Reden ohne jedes Manuskript. In Bierzelten und auf anderen großen und kleinen Bühnen ledert er dagegen gerne engagiert bis polemisch gegen die Ampel-Regierung in Berlin. Mit seiner „Demokratie zurückholen“-Äußerung auf einer Kundgebung in Erding hat er sich massive Kritik eingehandelt – er selbst sieht diese freilich als überzogen an und sich selber im Recht. Derzeit sieht alles danach aus, als könnte Aiwanger auch nach der Wahl weiter mit der CSU regieren. Sein großes Ziel, die Freien Wähler in den Bundestag zu führen, hat er aber noch nicht erreicht.

AFD: KATRIN EBNER-STEINER (44) UND MARTIN BÖHM (58): 2018 hatte die AfD auf einen bayernweiten Spitzenkandidaten verzichtet. Diesmal entschied sie sich anders – auch deshalb, um in den sonst so kritisierten Medien ebenso mit ihrem Spitzenpersonal vorzukommen wie alle anderen. Der Kurs der Partei weist dabei immer weiter nach ganz rechts außen: Sowohl Ebner-Steiner als auch Böhm werden dem offiziell aufgelösten, völkisch-nationalen „Flügel“ zugerechnet. Vor allem Ebner-Steiner gilt als Vertraute von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen. Sie ist dabei eines der bekanntesten Gesichter der Bayern-AfD. Nach der Landtagswahl 2018 wurde sie zunächst Fraktionschefin und konnte sich dort bis Herbst 2021 halten – dann aber wurde sie, weil inzwischen das gemäßigtere Lager die Mehrheit hatte, abgewählt. Nun sind die „Flügler“ wieder auf dem Vormarsch.

SPD: FLORIAN VON BRUNN (54): Er hofft angesichts der SPD-geführten Bundesregierung auf einen Kanzlerbonus – und doch muss Florian von Brunn nun erstmals auch persönlich bei einer Landtagswahl liefern. Im April 2021 hatte er den SPD-Landesvorsitz übernommen, auf den er so lange hingearbeitet hatte, zusammen mit Ronja Endres. Das Duo setzte sich damals gegen den amtierenden Generalsekretär Uli Grötsch durch. Im Mai 2021 griff von Brunn auch nach dem Fraktionsvorsitz im Landtag – und gewann eine Kampfabstimmung gegen den damaligen Amtsinhaber Horst Arnold, wenn auch nur knapp mit 12 zu 10 Stimmen. In diesem Mai wurden von Brunn und Endres als Parteivorsitzende bestätigt. Fakt ist aber: Wegen seines forschen Auftretens und seines großen Ehrgeizes war von Brunn auch partei- und fraktionsintern nie unumstritten. Politische Gegner kritisieren ohnehin seine oftmals von lauten Attacken und Angriffen geprägten Reden im Landtag.

FDP: MARTIN HAGEN (41): Der FDP-Landtagsfraktionschef ist extrem redegewandt, argumentiert überzeugend – und kann quasi auf eine FDP-Karriere aus dem Bilderbuch verweisen: Politik-Studium, Arbeit in einer Unternehmensberatung, Pressesprecher der bayerischen FDP-Landesgruppe im Bundestag, acht Jahre lang Hauptgeschäftsführer der bayerischen FDP, dann wieder selbstständiger Strategie- und Kommunikationsberater. Und dann 2018 der große Erfolg: Als Spitzenkandidat führte Hagen die FDP nach fünf Jahren Pause zurück in den Landtag. In einer Urwahl hatte er sich damals gegen eine ganze Reihe von Mitbewerbern durchgesetzt, am Ende in einer Stichwahl auch gegen den ehemaligen Landeschef. Heute ist Hagen die unbestrittene Führungsfigur der Bayern-FDP, er sitzt zudem im Bundesvorstand. Nun aber steht er vor einer entscheidenden Bewährungsprobe: Schafft er am 8. Oktober mit seiner Partei den Wiedereinzug in den Landtag?

(dpa/lby)